Der Krankenstand in Deutschland befindet sich auf einem Rekordhoch. Deutschland zählt dabei im europäischen Vergleich zu den Ländern mit den höchsten Krankenstandsquoten. Diese Entwicklung stellt Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Die Ursachen sind vielfältig und reichen von veränderten Arbeitsbedingungen bis hin zu gesundheitlichen und sozialen Faktoren. Gleichzeitig ergeben sich jedoch auch Chancen, durch innovative Strategien und flexible Modelle gegenzusteuern.
Ursachen für den hohen Krankenstand in Deutschland
Die Ursachen für den hohen Krankenstand in Deutschland sind vielfältig und reichen von strukturellen Veränderungen im Gesundheitssystem bis hin zu sozialen und psychischen Faktoren. Ein zentraler Punkt ist die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) im Jahr 2022. Diese digitale Form der Krankmeldung hat die Meldegenauigkeit erheblich verbessert. Während in der Vergangenheit Krankmeldungen teils ungenau oder gar nicht erfasst wurden, sorgt die eAU nun dafür, dass auch kleinere Krankheitsfälle zuverlässig dokumentiert werden. Das hat zur Folge, dass die Krankheitszahlen auf den ersten Blick höher erscheinen können, obwohl die tatsächliche Rate der Krankheitsfälle unverändert geblieben ist.
Ein weiterer entscheidender Faktor ist die psychische Gesundheit der Arbeitnehmer. Die anhaltenden Auswirkungen der Pandemie, insbesondere Long-Covid-Symptome und die durch Isolation ausgelösten psychischen Belastungen, beeinträchtigen zunehmend die Arbeitsfähigkeit. Symptome wie Erschöpfung, Konzentrationsprobleme und Depressionen sind häufige Ursachen für lange Fehlzeiten. Diese mentalen Belastungen wirken sich nicht nur auf die körperliche Gesundheit aus, sondern führen auch zu einer Verringerung der Produktivität und Arbeitsmotivation.
Die zunehmende Nutzung digitaler Medien und die damit verbundene Informationsflut stellen einen weiteren Stressfaktor dar. Arbeitnehmer sehen sich einer ständigen Reizüberflutung ausgesetzt, was zu einer kognitiven und emotionalen Überforderung führt. Diese Überlastung macht es den Beschäftigten schwer, sich zu regenerieren und erholsam zu schlafen, was langfristig die mentale Gesundheit beeinträchtigt. Insbesondere die ständige Erreichbarkeit und der sogenannte „Information Overload“ wirken sich negativ auf das Wohlbefinden aus.
Zudem spielt das deutsche System der Lohnfortzahlung eine Rolle bei den hohen Krankenständen. In Deutschland erhalten Arbeitnehmer im Krankheitsfall bis zu sechs Wochen lang ihr volles Gehalt, was eine der großzügigsten Regelungen weltweit darstellt. Diese Sicherheit führt zwar zu einer besseren Absicherung der Arbeitnehmer, kann jedoch auch dazu führen, dass Krankmeldungen bereits bei leichten Symptomen häufiger erfolgen. Im Vergleich dazu erhalten Arbeitnehmer in Schweden lediglich 80 Prozent ihres Lohns, was dazu führt, dass sie auch bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen eher zur Arbeit erscheinen, um den Verdienstausfall zu minimieren.
Insgesamt tragen diese Faktoren in Kombination dazu bei, dass die Krankenstandszahlen in Deutschland steigen, während die zugrunde liegenden Ursachen komplex und vielschichtig sind.
Maßnahmen zur Bewältigung hoher Krankenstände
1. Teilzeit-Krankschreibungen einführen
Eine Möglichkeit, den Krankenstand zu reduzieren, sind Teilzeit-Krankschreibungen. In Schweden können Ärzte Arbeitnehmer zu 25, 50 oder 75 Prozent arbeitsfähig erklären. Diese Flexibilität ermöglicht es, auch bei leichten Symptomen eingeschränkt zu arbeiten, z. B. im Homeoffice. Laut dem Präsidenten der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, wäre ein ähnliches Modell auch in Deutschland denkbar und könnte zu mehr Produktivität bei gleichzeitiger Rücksichtnahme auf die Gesundheit führen.
2. Förderung der psychischen Gesundheit
Gezielte Maßnahmen zur Förderung der mentalen Gesundheit am Arbeitsplatz können dazu beitragen, psychische Belastungen zu reduzieren. Dazu zählen:
- Resilienz- und Stressbewältigungstrainings
- Mental-Health-Programme und Beratungsangebote
- Achtsamkeitsübungen und regelmäßige Workshops zur Selbstreflexion
Eine offene Gesprächskultur über psychische Gesundheit hilft zudem, Hemmschwellen abzubauen und frühzeitig auf Warnsignale zu reagieren.
3. Flexible Arbeitsmodelle etablieren
Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie effektiv Homeoffice und hybride Arbeitsmodelle sein können. Unternehmen können durch flexible Regelungen sicherstellen, dass Mitarbeiter bei leichten Erkrankungen von zu Hause aus arbeiten können, ohne das Ansteckungsrisiko für Kollegen zu erhöhen.
4. Work-Life-Balance fördern
Die Förderung einer ausgewogenen Work-Life-Balance ist entscheidend, um die Belastung der Mitarbeiter zu reduzieren. Das Konzept des Digital Detox – also die bewusste Reduzierung von Bildschirmzeit und Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit – ist ein wichtiger Ansatz. Unternehmen können dabei helfen, durch:
- Festgelegte Ruhezeiten ohne E-Mail-Benachrichtigungen
- Technische Einstellungen zur Begrenzung geschäftlicher Kommunikation außerhalb der Arbeitszeit
- Bewusstseinskampagnen für die Bedeutung von Pausen und Erholung
5. Präventive Gesundheitsangebote schaffen
Gesundheitsfördernde Maßnahmen wie regelmäßige Check-ups, Impfungen oder Aufklärungskampagnen über Prävention sind essenziell, um Krankheiten vorzubeugen. HR kann dabei eine entscheidende Rolle spielen, indem entsprechende Programme organisiert und kommuniziert werden.
6. Wiedereingliederungsmanagement stärken
Programme wie das Hamburger Modell, das eine schrittweise Rückkehr in den Arbeitsalltag nach längeren Krankheitsphasen ermöglicht, sind bewährte Ansätze. Diese können auch bei kürzeren Krankheitsphasen angewendet werden, um Mitarbeitern eine sanfte und nachhaltige Rückkehr zu ermöglichen.
Teilzeit-Krankschreibung: Vorteile, Herausforderungen und internationale Perspektiven
Die Idee der Teilzeit-Krankschreibung wurde in Deutschland von Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, ins Gespräch gebracht. Sie sieht vor, dass erkrankte Arbeitnehmer in Absprache mit ihrem Arzt für einige Stunden täglich arbeiten können, statt vollständig arbeitsunfähig gemeldet zu sein. Diese Regelung könnte besonders bei leichten Infekten oder in Fällen, in denen Homeoffice möglich ist, Vorteile bieten. „Trotz Krankheit könnten Arbeitnehmer ihre Aufgaben in begrenztem Umfang erledigen und sich gleichzeitig erholen“, so Reinhardt. Die Digitalisierung und die Möglichkeit zum Homeoffice machen diese Flexibilität zunehmend praktikabel.
Internationale Erfahrungen zeigen, dass Teilzeit-Krankschreibungen vor allem in Skandinavien, wie zum Beispiel in Schweden, gut funktionieren. Dort können Ärztinnen und Ärzte entscheiden, dass jemand nur zu 25, 50 oder 75 Prozent arbeitsfähig ist. Dies trägt dazu bei, die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage zu senken und gleichzeitig die Produktivität zu erhalten. In Schweden nutzt etwa ein Drittel der Krankgeschriebenen dieses Modell, was zu einer deutlichen Reduzierung der Krankengeldzahlungen führt. In Deutschland erhalten Arbeitnehmer im Krankheitsfall jedoch sechs Wochen lang ihr volles Gehalt, was eine vergleichbare Regelung erschwert.
Ein wirtschaftlicher Vorteil der Teilzeit-Krankschreibung in Deutschland wäre ein möglicher Produktivitätsgewinn von rund 5 Milliarden Euro jährlich. Nicolas Ziebarth, Arbeitsmarktexperte am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, erklärt, dass durch die Umstellung von zehn Prozent der Krankentage auf Teilzeit-Krankschreibungen rund 45 Millionen Arbeitstage eingespart werden könnten. Diese Einsparungen könnten sowohl den Unternehmen als auch der Wirtschaft insgesamt zugutekommen. „Trotzdem ist eine Einführung dieser Praxis in Deutschland nicht ohne Herausforderungen“, so Ziebarth. Insbesondere müssten rechtliche Hürden überwunden werden, da in Deutschland eine Krankmeldung grundsätzlich eine vollständige Arbeitsunfähigkeit bedeutet.
Während die Idee der Teilzeit-Krankschreibung viele Vorteile, insbesondere für leicht Erkrankte, bieten könnte, bleibt sie in Deutschland vorerst eine freiwillige Lösung. Sie könnte helfen, Krankentage zu reduzieren und die Produktivität zu steigern, sollte jedoch immer mit der Sicherheit der Gesundheit der Arbeitnehmer im Einklang stehen.
Gezielte HR-Strategien gegen hohe Krankenstände
Der anhaltend hohe Krankenstand erfordert ein Umdenken in Unternehmen. HR-Abteilungen sollten sich auf die folgenden Kernstrategien konzentrieren:
- Analyse der Ursachen: Regelmäßige Auswertungen der Krankenstandsstatistiken helfen, die Hauptursachen zu identifizieren und gezielt Maßnahmen zu entwickeln.
- Individuelle Lösungen anbieten: Jeder Mitarbeiter hat unterschiedliche Bedürfnisse. Flexible Arbeitsmodelle, Teilzeit-Krankschreibungen und maßgeschneiderte Gesundheitsangebote tragen dazu bei, individuelle Herausforderungen zu bewältigen.
- Kultur der Offenheit fördern: Eine Arbeitskultur, die psychische und physische Gesundheit gleichermaßen wertschätzt, trägt dazu bei, langfristig Ausfälle zu reduzieren.
Fazit
Das steigende Krankenstandniveau in Deutschland stellt Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Die Ursachen sind vielschichtig und reichen von psychischen Belastungen über die Auswirkungen der Pandemie bis hin zu einem großzügigen Lohnfortzahlungssystem, das möglicherweise zu vermehrten Krankmeldungen führt. Dennoch bietet die aktuelle Situation auch Chancen für Unternehmen, durch flexible Arbeitsmodelle und innovative Gesundheitsstrategien gegenzusteuern.
Ein vielversprechender Ansatz könnte die Einführung von Teilzeit-Krankschreibungen sein, wie sie in Skandinavien bereits praktiziert wird. Durch die Möglichkeit, auch bei leichten Erkrankungen teilweise zu arbeiten, könnten Unternehmen die Produktivität erhalten und gleichzeitig die Erholung der Mitarbeiter fördern. Zwar gibt es in Deutschland rechtliche und kulturelle Hürden, die überwunden werden müssen, doch ein solches Modell könnte langfristig eine Lösung sein, um die Krankenstände zu senken.
Darüber hinaus sind präventive Maßnahmen und eine stärkere Fokussierung auf die psychische Gesundheit der Mitarbeiter entscheidend, um die Belastungen zu verringern. Flexibles Arbeiten, resilienzfördernde Programme und eine ausgewogene Work-Life-Balance sind ebenfalls Schlüsselfaktoren für die Reduzierung von Krankheitsausfällen. Unternehmen sollten in der Lage sein, ihre HR-Strategien kontinuierlich anzupassen und eine Kultur des Wohlbefindens zu fördern, um langfristig eine stabile und gesunde Arbeitsumgebung zu schaffen.
Insgesamt zeigt sich, dass die Bekämpfung des hohen Krankenstandes nicht nur durch individuelle Lösungen, sondern auch durch eine umfassende, auf Prävention und Flexibilität ausgerichtete Strategie gelingen kann. Unternehmen, die in die Gesundheit ihrer Mitarbeiter investieren und innovative Lösungen wie Teilzeit-Krankschreibungen in Betracht ziehen, haben das Potenzial, sowohl ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern als auch die Zufriedenheit und Produktivität ihrer Mitarbeiter zu fördern.
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